Götterblut

Ein Fantasy Roman von Gundula Broesigke

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Leseprobe Kapitel 1

Die Nacht des Todes

Es war ein sehr dunkler Tag. Eine unheilvolle Stimmung lag in der Luft, als Zeus, der König der Götter, aus seinem Palast trat.

Eine düstere Stille breitete sich aus, als er seine stahlgrauen Augen auf den Kampfplatz richtete, wo sein Sohn ihn bereits erwartete. Gemächlichen Schrittes bewegte er sich nun auf ihn zu. Sein Gesicht drückte eine Mischung von Besorgnis, Kummer und Zorn aus.

Der Gott des Krieges, mit einer mächtigen Streitaxt bewaffnet, die sich bläulich glitzernd von der Dunkelheit abhob, stand einfach nur da und bewegte sich nicht.

Ares und Zeus hatten sich gestritten und einander den Krieg geschworen. Der Götterkönig sah seine Gemahlin neben ihrem Sohn stehen und sein Gesichtsausdruck verdunkelte sich zunehmend.

Zeus wusste, dass es Hera seit langem sehnlichst danach verlangte, ihr Lieblingskind Ares auf den Götterthron zu setzen, koste es, was es wolle.

Aber seltsamerweise hatte er nicht erwartet, dass der Kriegsgott ihrem Bestreben Folge leisten würde.

„Wie kannst du es wagen?“, donnerte nun Zeus’ Stimme über das Land und selbst in weiter Ferne war noch der dumpfe Nachhall seiner Worte zu hören. Hera fuhr erschrocken zusammen, denn das Gesagte zerriss gewaltvoll die Stille.

Viele Gottheiten versammelten sich nun neugierig um sie herum und immer mehr Götter erschienen aus dem Nichts. Sie waren gespannt, ob Ares seinem Vater ein würdiger Gegner sein würde. Sie konnten ja nicht ahnen, dass die beiden starken Gottheiten wie Rasende wüten würden, ohne Rücksicht und Einhalt.

„Du bist alt, Vater“, sagte Ares unbeeindruckt. „Ich sollte herrschen.“

Der Götterkönig musterte ihn eindringlich und erkannte, dass der Kriegsgott hart an sich gearbeitet hatte.

Seine Aura der Macht pulsierte förmlich und ließ den Platz für einen kurzen Augenblick in einem leichten rötlichen Licht erstrahlen. Er sah in Ares’ Augen, dass er sein Können bereits erprobt und andere Götter getötet hatte. Normalerweise wurde ein solcher Frevel streng bestraft, doch er hatte es längst aufgegeben, seinem Sohn Einhalt gebieten zu wollen.

Zeus hob einen Arm in Richtung Himmel und ein Blitz fuhr hinein. In seiner Hand entstand er schließlich von neuem, als Zeus sprach: „Fürchte dich, mein Sohn. Denn ich werde dich nicht schonen.“

Ares erwiderte nichts, seine Muskeln waren zum Bersten gespannt, doch nicht, weil er Angst hatte. Er sehnte den Kampf herbei, schon seit sehr langer Zeit.

„Geh beiseite, Mutter“, wandte er sich barsch an Hera, die seiner Aufforderung Folge leistete.

Er sah kaum die anderen Götter um ihn herum und die Umgebung verschwamm vor seinen Augen. Er sah nur noch seinen Vater mit dem tödlichen Blitz in der Hand und einem gezogenen Schwert in der anderen. Die helle Aura seines Erzeugers drang in seine Gedanken und in sein Bewusstsein ein. Sein großer Augenblick war nahe, der Moment, in dem sein Vater geschlagen zu seinen Füßen liegen und ihm die Herrschaft über die griechischen Götter abtreten würde.

Brüllend rannte er vor und ließ seine Axt auf seinen Vater niedersausen. Zeus warf den Blitz nach ihm, der haarscharf an seiner Wange vorbeiglitt und einen anderen Gott an seiner statt vernichtete. Keiner von beiden bemerkte es, denn der Kampf um die Macht hatte begonnen.

Wochenlang wüteten sie von da an, vergessen war die Zeit und vergessen war alles andere Leben um sie herum. Wie Besessenheit war ihr Ringen, das keinen Einhalt und keine Gnade kannte. Keiner von beiden hatte Schwäche gezeigt und es war noch immer nicht klar, wer gewinnen würde.

Plötzlich übertönte ein gellender Schrei den Kampflärm und die beiden Götter hielten erschrocken inne.

Sie sahen Hera, die schwer verwundet an einer Säule lehnte.

„Was macht ihr?“, fragte sie flüsternd. Als Zeus sich nun umblickte, stand ihm das schiere Entsetzen deutlich ins Gesicht geschrieben. Der Olymp hatte sich in eine rabenschwarze Ebene verwandelt und die einst so stolzen Gebäude waren nur noch Trümmerhaufen. Sie hatten ein regelrechtes Blutbad angerichtet, ein unglaubliches Gemetzel. Überall, wo er hinblickte, sah er tote Götter liegen.

Er beachtete Ares nicht weiter, sondern rannte vom Kampfplatz zum ehemaligen Götterpalast. Er fand dort seine Schwestern Demeter und Hestia. Sie waren beide tot. Verzweifelt beugte sich Zeus über Demeter und konnte nicht glauben, dass er verantwortlich für ihren Tod sein sollte.

Ares war stehen geblieben und betrachtete nun seine verletzte Mutter, die sich dicht neben ihm befand und sich vor Schmerzen krümmte. Er fragte sich, ob sie es gewesen war, die geschrien hatte.

„Hilf mir, mein Sohn!“, bat Hera gequält. „Ich sterbe sonst.“

Die Götterkönigin blickte überrascht zu ihrem Sohn auf und sagte: „Ich habe dich immer gut behandelt. Du warst mein Lieblingskind.“

„Ich weiß!“, knurrte Ares leise und sein Gesichtsausdruck verdüsterte sich. „Aber ich hasse dich. Du bist die verachtenswerteste Kreatur, die ich kenne. Ich wollte dich schon seit Jahren töten. Ich habe Zeus angegriffen, weil er dich immer beschützt hat, blödes Weib. Hättest du dich seiner als würdig erwiesen, würde ich dein Leben vielleicht verschonen.“

„Was?“, entfuhr es Hera entsetzt.

Daraufhin hob der Gott zum letzten Mal in dieser dunklen Nacht seine Axt und löschte damit seiner sterbenden Mutter das Leben aus.

Zeus drehte sich erschrocken um, als er Heras Todesschrei vernahm und erblickte seinen Sohn, der sich neben die Götterkönigin gekniet hatte. Die Waffe lag achtlos weggeworfen auf dem Trümmerhaufen.

„Sie ist auch tot!“, flüsterte Ares leise, doch in seinen Augen war nicht der Schmerz erkennbar, den seine Stimme zum Ausdruck bringen sollte, sondern nur bittere Rachsucht.

Aber Zeus achtete nicht auf die Augen seines Sohnes, denn er war zu sehr in das Gefühl unerträglicher Schuld und grenzenlosen Verlustes versunken.

„Was haben wir nur getan?“, sagte er leise, mehr zu sich selbst als zu Ares. Sein Sohn antwortete nicht, aber er schritt nun seinerseits langsam um den Kampfplatz herum. Obwohl er es vor Zeus nie zugegeben hätte, verspürte er eine große Angst, die sich in seiner Magengrube festgesetzt hatte, die Angst vor dem, was er finden würde.

Außer ihnen war kein lebender Gott zu sehen, bis eine Gestalt sich den Weg durch den Nebel bahnte. Umgeben von einer mächtigen Feuerkugel, die ihren Zorn ausdrückte, wurde nun Callisto sichtbar. Ihre grünblauen Augen funkelten vor Hass und Wut. Die Verachtung in ihrem Blick war deutlich zu spüren, als sie Zeus ansah und das betrachtete, was der Kampf zwischen den beiden Gottheiten angerichtet hatte. Callistos lange, goldblonde Haare waren zu einem Kriegszopf zusammengebunden, der allerdings langsam begann, sich aufzulösen, sodass ihr einige Strähnen ins Gesicht fielen. Sie trug eine schwarzsilberne Kriegsrüstung, die ihren Körper betonte. In der rechten Hand hielt sie eine lange Peitsche, die ihre Grausamkeit und Kriegslust zum Ausdruck brachte. Ares stockte der Atem, als er ihren hinreißenden Anblick betrachtete. Es war jedoch weniger ihre Gestalt, die ihn glücklich machte, sondern eher das Gefühl grenzenloser Erleichterung, sie lebend wieder zu sehen.

Er ging auf sie zu und blieb dann vor ihr stehen. Sie schwiegen beide beharrlich. Sie, weil sie nicht wusste, wie sie ihrem Zorn am besten Ausdruck verleihen konnte und er, weil er nicht wusste, wie er überspielen sollte, dass er um ihr Leben gebangt hatte.

Zeus kam zu ihnen und sagte: „Ich muss wissen, welche Götter noch am Leben sind.“ „Wollen wir das wirklich wissen?“, fragte Ares nun zweifelnd und gab somit zu erkennen, dass es ihm auch nicht gleichgültig war.

Der Götterkönig musterte seinen Sohn und hatte das Bedürfnis, ihn zur Rede zu stellen und ihm bittere Vorwürfe zu machen. Gleichzeitig konnte er jedoch das schwer auf ihm lastende Gefühl der eigenen Schuld nicht abschütteln.

„Wir müssen“, antwortete er schließlich.

„Lyria?“, fragte Zeus in die Stille. Ares zog das verängstigte Mädchen hinter einer stark beschädigten Statue hervor. „Hier ist sie“, sagte er und achtete nicht darauf, dass sie zitternd versuchte sich seinem Griff zu entwinden.

„Lass sie los, Ares. Mach ihr nicht noch mehr Angst“, befahl Zeus.

Ares ließ Lyria los, schob sie allerdings vorher in die Richtung der anderen Gottheiten.

Lyria war die Nymphe der Zusammenkunft. Vor vielen Jahren hatte sie die Erde und die anderen Waldnymphen verlassen, um Zeus zu dienen.

Jetzt sah sie aus, als würde sie ihren Entschluss bereuen. Der Götterkönig betrachtete die verängstigte Naturgöttin und seine Reue wuchs. In den grünen Augen der Dryade sah er die Angst und auch die Abscheu, die sie für ihn und seinen Sohn empfand, seit sie dieses Gemetzel hatte miterleben müssen, für das sie verantwortlich waren.

In ihren honigblonden Haaren waren auf kunstvolle Art und Weise Blätter eingeflochten und auch ihre Arme und Beine waren teilweise mit Ranken bedeckt, obwohl sie ein schlichtes, weißes Kleid trug. An ihren Handgelenken baumelten Armbänder, die aus einem pflanzenartigen Gewächs zu bestehen schienen, die jedoch mit kleinen, silbernen Glöckchen behangen waren.

„Was wünscht Ihr, Götterkönig?“, fragte sie schließlich und man sah ihr an, dass es sie Überwindung gekostet hatte.

„Rufe die Götter herbei. Wir müssen uns beraten“, erwiderte Zeus.

„Ich habe eine Bitte“, entgegnete die Dryade. „Ich möchte in meinen Wald zurückkehren.“

Zeus meinte: „Nachher kannst du gehen, wohin dich deine Schritte tragen oder deine Magie dich führt. Du bist frei.“

Lyria nickte dankbar, hob ihre schlanken Arme nach oben und die Glocken an ihren Handgelenken begannen sich zu drehen. Ein helles Licht ging nun von ihnen aus und ein klarer Ton, der nur von den griechischen Göttern gehört wurde, folgte.

„Danke“, sagte Zeus und hatte das Bedürfnis das verstörte Mädchen zu trösten, aber er hielt sich zurück, um sie nicht noch mehr zu verschrecken.

„Auf Wiedersehen“, verabschiedete sich die Waldnymphe, doch man sah ihr an, dass sie insgeheim hoffte, keinen von ihnen wieder sehen zu müssen. Callisto blickte noch lange auf die Stelle, wo die Dryade verschwunden war, doch keiner der beiden anderen Gottheiten konnte erraten, was sie sich dachte.

Es dauerte nicht lange, bis Apollon in hellem Licht erschien. Er trug nur eine braune Hose und sah so aus, als fühlte er sich durch die Versammlung sehr gestört.

„Was soll das denn? Dauernd nervst du mich, Zeus“, sagte er, noch bevor er sich umgesehen hatte. Dann nahm er eine ernstere Haltung ein und fixierte seinen Bruder Ares misstrauisch.

„Das ist nicht nur meine Schuld, falls du das denkst“, versuchte der Kriegsgott sich zu verteidigen.

Der goldene Gott erwiderte nichts, sondern ließ seinen Blick weiterhin nachdenklich über die Ebene schweifen. Es sah furchtbar aus, doch Apollon hatte schon schlimmere Gräuel gesehen.

Bald nach ihm erschien Aphrodite in einem blassrosa Kleid, das großteils durchsichtig war.

Ihre blonden Haare hingen in nassen Strähnen über ihren Körper. Sie schmollte ein bisschen, weil sie bei ihrem Schönheitsbad gestört worden war. Kurz darauf torkelte Dionysos an, der die letzten Tage sturzbetrunken in seinem Weingarten gelegen hatte. Dann kamen Hades und Poseidon, die beide gerade ein Nickerchen in ihren Reichen gehalten hatten und deshalb sehr müde wirkten.

Ares entdeckte indes Artemis, die zwar bewusstlos und schwer verletzt war, aber noch lebte. Er zog seine Schwester behutsam unter den Trümmern einer massiven Säule hervor. Traurig entdeckte Zeus, dass, abgesehen von Hera und seinen Schwestern Hestia und Demeter, auch Hephaistos und Hermes gestorben waren sowie zahlreiche Nebengötter wie Eris, Nike und Nemesis.

Für einen kurzen Augenblick überlegte er, wo Athene war, doch er vermutete, dass er sie auch nicht wieder sehen würde.

Er setzte sich an einen steinernen Versammlungstisch, den sie immer für solche Zwecke gebrauchten und der wie durch ein Wunder heil geblieben war. Auch die anderen Gottheiten nahmen Platz an der großen Tafel, die jetzt viel zu lang erschien. Zeus blickte auf den leeren Stuhl neben sich, auf dem Hera immer gesessen hatte. Er war im Gegensatz zu den anderen steinernen Sitzplätzen aus einem dunklen Holz gefertigt und mit einer eindrucksvollen Pfauenfederverzierung versehen.

Für einen Moment lang herrschte ein betretenes Schweigen und die Götter, die eben erst gekommen waren, sahen sich mit gemischten Gefühlen um. Viele Götter wie Poseidon hegten wenig Zuneigung für die anderen und empfanden nur wenig Trauer über den Verlust so vieler Familienangehöriger. Apollon wirkte auch nicht besonders ergriffen von dem Vorfall. Man konnte ihm ansehen, dass er von seinem grausamen Bruder nichts anderes erwartet hatte. Dass Zeus jedoch an diesem Vorfall beteiligt war, erstaunte ihn sehr.

Callisto ergriff als Erste das Wort: „Nun seht euch an, was die beiden mit ihren ewigen Streitereien angerichtet haben. Fast alle Götter sind tot. Ganz zu schweigen von dieser Verwüstung. Wir sind beinahe ausgerottet. Lernt ihr denn nie euch zusammenzureißen und eure Kräfte zu zügeln?“

Zeus erhob sich und sagte: „Wir müssen unbedingt neue Götter schaffen und wir haben nicht viel Zeit. Wenn ein anderes Götterreich uns in diesem geschwächten Zustand angreift, sind wir machtlos, ganz zu schweigen von größeren Bedrohungen, die sich uns nähern könnten.“

Callisto betrachtete ihn beunruhigt. Gab es einen Grund dafür, dass er plötzlich von fremden Bedrohungen sprach oder war das eine reine Vorsichtsmaßnahme?

Meistens musste man über jedes Wort, das er sagte, gut nachdenken, denn er wusste oft mehr als alle anderen Götter, sprach seine Gedanken aber selten frei heraus.

„Wie konnte das nur geschehen?“, fragte Aphrodite nun weinerlich und die anderen Götter blickten sie mitleidsvoll an.

Zeus versuchte sie zu beruhigen: „Es wird alles wieder gut werden. Wir werden die Gebäude wieder aufbauen und das Geschehene aus unserem Gedächtnis verbannen. Es wird neue Gottheiten geben.“

„Das war unsere Familie“, sagte Aphrodite nun und wirkte leicht hysterisch. „Wie könnt ihr so darüber reden, als wäre es ein kleiner Fehler gewesen, den man wieder ausbügelt, indem einfach neue Götter geschaffen werden.“

„Aphrodite, ich bitte dich“, entgegnete Zeus. „Du und Apollon, ihr seid die einzigen Götter, welche die Macht besitzen neues Leben zu erschaffen. Wir werden deine Hilfe brauchen. Ich weiß, dass das schrecklich für dich sein muss. Dein Mann ist tot und deine Mutter, deine Tanten und ...“

„Hör auf!“, entfuhr es Aphrodite und ihr Gesicht war hochrot vor lauter Anspannung. „Ich will das nicht hören.“

Daraufhin stand sie auf und lief weinend davon.

„Ich werde mit ihr reden“, sagte Zeus seufzend und wollte ihr folgen.

Callisto meinte: „Das ist keine gute Idee. Ich weiß, dass du deine Tochter liebst, aber es wäre besser, wenn jemand mit ihr redet, der an diesem ... diesem Vorfall unbeteiligt ist.“

„Da hat sie wohl Recht“, entgegnete Hades. „Willst du es tun?“

„Was? Ich? Nein“, entgegnete Callisto etwas zu heftig. Es war nicht so, dass sie Aphrodite nicht mochte, aber sie hasste es, andere Menschen zu trösten.

Ares lachte und schlug vor: „Ich könnte sie zwingen.“

„Nein, du hast für heute genug getan“, herrschte ihn Callisto an. „Bleib einfach sitzen und sei still.“

„Wie redest du mit mir? Zeus ist genauso verantwortlich wie ich“, erwiderte Ares erbost. Dann fügte er hinzu: „Ich werde mit Callisto gehen, was auch immer sie zu tun pflegt.“

„Vergiss es“, fauchte sie. „Was soll ich denn mit deiner Gegenwart?“

Die beiden Götter waren wütend aufgestanden und betrachteten einander, als ob sie sich töten wollten. Ares packte Callistos Arm und entwand ihr die Peitsche.

Callisto hatte begonnen ihm Feuerbälle entgegenzuschleudern, die er mit der Hand abwehrte. An einem verbrannte er sich leicht die Finger.

„Du hast sie ja wohl nicht alle. Setz dich wieder“, schrie er sie an und ließ die Peitsche auf sie herabsausen. Es war mehr eine symbolische Geste und wenn sie darauf geachtet hätte, hätte sie bemerkt, dass er ihr wahrlich nicht wehtun wollte. Stattdessen stürzte sie sich nun auf ihn und riss ihn zu Boden.

„Das gibt es ja wohl nicht“, murmelte Apollon in sich hinein. Hades und Poseidon beobachteten die beiden eher belustigt.

„Schluss damit!“, brüllte Zeus, doch es beachtete ihn niemand, am wenigsten die Kämpfenden. „Hört auf“, schrie nun Apollon und Callisto kletterte mit erstauntem Gesichtsausdruck von Ares herunter, der ein bisschen mitgenommen wirkte.

„Ich werde Aphrodite suchen“, sagte der Gott des Lichtes und verschwand. Zeus sagte nun zu Ares, der sich gerade aufrichtete: „Ares, du wirst hier bei mir bleiben und mir helfen die Gebäude wieder aufzubauen. Callisto kann machen, was sie will. Das ist sowieso ihre Art und außerdem hat sie mit unserem Streit nichts zu schaffen.“

Callisto setzte sich seufzend wieder auf ihren Platz und sagte dann erstaunlich freundlich zu Ares: „Ich glaube, du solltest dich um Artemis kümmern. Das ist jetzt am wichtigsten.“

Ares nickte und hätte sich schlagen können, dass er einen Moment lang auf seine verletzte Schwester vergessen hatte. Er lief zu der Stelle zurück, an der sie lag und Zeus folgte ihm.

„Vielleicht brauchen wir einen Heilgott“, mutmaßte Zeus. Ares schüttelte den Kopf.

„Deine Heilmagie ist stark, Vater. Du wirst sie selbst retten können.“

Der Kriegsgott hob seine Schwester hoch und betrachtete sie nachdenklich.

Zeus stellte in Windeseile ein Bett für sie her, das aus feinst gesponnenem Licht zu bestehen schien und in das er viel von seiner Heilmagie gelegt hatte. Es würde sie auf sanftem Weg von ihren Verletzungen befreien.

Ares legte sie darauf und zog schließlich ihren Bogen aus den Trümmern hervor, um ihn an ihre Seite zu legen.

Dann kehrte er zum Versammlungstisch zurück, Zeus blieb stehen.

„Es ist langweilig“, murmelte Dionysos schließlich und es verwunderte die anderen Götter für einen Augenblick lang, dass er in seinem Zustand überhaupt sprechen konnte.

„Geh doch. Du wirst uns sowieso nicht helfen“, antwortete Callisto. Dionysos blickte Zeus fragend an. Als dieser beiläufig nickte, sah er erleichtert aus und verschwand eiligst.

Hades und Poseidon murmelten etwas vor sich hin, dass ihnen auch langweilig sei, doch niemand beachtete sie. Schließlich kam Apollon zurück und mit ihm die etwas verstört wirkende Aphrodite. Aber sie schien sich beruhigt zu haben. Zeus begab sich auch wieder zu ihnen und sagte: „Na also. Aphrodite und Apollon, ihr schafft neue Götter und Ares wird mir helfen. Die anderen Götter können weiterhin ihren üblichen Tätigkeiten nachgehen. Die Versammlung ist hiermit beendet.“

Apollon verschwand wortlos mit Aphrodite, doch er wirkte etwas mürrisch.

Hades und Poseidon suchten ebenfalls schnell das Weite, damit Zeus nicht auf die Idee kommen würde, sie doch noch mit Aufgaben zu versehen.

Ares konnte sein Pech kaum fassen, dass er seinem Vater bei den Wiederaufbauarbeiten helfen musste. Allgemein lag es ihm nicht besonders etwas aufzubauen. Die Kunst des Zerstörens war ihm weit geläufiger.

Seine einzige Freude war, in einem günstigen Augenblick Callisto anzustarren. Er dachte sehnsüchtig daran, wie es wohl wäre, sie an sich zu reißen und in Besitz zu nehmen, gleich hier und jetzt. Sein Verlangen nach der schönen Feuergöttin erschien ihm mittlerweile schier unerträglich und doch wusste er nicht, was ihn davon abhielt, sie sich gefügig zu machen. Wahrscheinlich war es Respekt, dachte Ares grimmig und fragte sich, wann er dieses Gefühl erlernt haben mochte.

„Komm, Ares“, sagte Zeus nun und konnte die Wut aus seinem Blick nicht verbannen, als er seinen Sohn betrachtete.

Ares achtete nicht auf die andauernde Feindseligkeit, die der Götterkönig ihm entgegenbrachte.

Er rief sich in Erinnerung, sich wenigstens zu seiner persönlichen Befriedigung in einem günstigen Augenblick seiner ungeliebten, nervtötenden Mutter entledigt zu haben.

„Ich habe es auch für dich getan“, murmelte er in Callistos Richtung, doch er wusste, dass sie seine Worte nicht mehr hören konnte. Sie war zu weit entfernt und verschwand bereits in einer Feuerwolke.

Trotzdem erfreute er sich selbst an dem Gedanken. Callisto redete niemals über ihre Vergangenheit und er wusste, dass sie viele Geheimnisse hatte. Doch zumindest war ihm immer klar gewesen, dass seine Mutter ihr etwas Grauenhaftes angetan haben musste, um den Hass zu verdienen, mit dem Callisto ihr immer begegnet war.

Zeus richtete gerade in Gedanken verloren eine riesige Säule wieder auf. Ares machte sich daran, die Bruchstücke einer Statue wieder zusammenzufügen, die ihn selbst aus einem seltsamen Zufall heraus gemeinsam mit Callisto in einer kriegerischen Haltung darstellte und obwohl Ares sich nicht mehr entsinnen konnte, wer sie gefertigt hatte, liebte er sie.

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